Die Unmöglichkeit des Ichs im Angesicht des Selfie-Sticks
Nennt uns die Digi-Letalen. Wir suchen nach Auswegen, Gängen, die aus uns selbst herausführen wie Transmitter ins Nichts. Wir wollen nicht bei uns sein, wir wollen außer uns sein, uns aus uns herauskehren. Als extreme Exzentriker versuchen wir, der sozialen Norm zu entkommen und bestätigen sie doch, wo wir nur können. Wir sind Wunscherfüllungs-Machinen im Ego-Modus, Schizo-Kapitalisten im Datenwind einer Traffic-Autobahn, die keine realen Risse zulässt.
Nennt uns die Digi-Letalen. Wir möchten uns selbst verlassen, verzweifelt nicht mehr wir selbst sein. Tatsächlich sind wir aber so sehr bei uns, wie noch nie zuvor. Wir kleben an uns selbst fest und schmücken uns, als Sticker unserer selbst. Als auf das Ich fixierte Instrumentalisten spielen wir behände auf der virtuellen Klaviatur der Kommunikation, in der Gewissheit stahlbadend, dass das Andere nur eine Spiegelung des eigenen Selbst ist (Anerkennung ist ein Lexikoneintrag auf egomania.com). Es gibt eine ganze Industrie, die davon lebt, uns einzureden, dass das gut so ist. Die blinden Flecken jedoch werden mehr, größer, verdichten sich, engen ein. Die Evasion erscheint uns als Königsweg: Im Sein ohne Sein wird der digitale Code zum Hoffnungsträger. Totengräber?
Nennt uns die Digi-Letalen. Wir sind unbewegte Bewegende an der Schnittstelle der virtuellen Natur. Ungeduldig ruhen wir in uns. Es ist ein leiblich gesehen statisches Dasein, das die Bewegung nur noch im Geistigen kennt – sie dort aber in einer inhuman beschleunigten Weise erfährt, die alle gegenwärtigen Kapazitäten zu übersteigen droht. Unser Geist ist schwach und unser Fleisch muss schwach sein, hängt es doch der analogen Welt an. Und doch feiern wir es, stellen es zur Schau. Wohlwissend: Es ist eine Opferschau, eine Leichenfeier, der wir beiwohnen. Die Bilder von uns, die im digitalen Äther zirkulieren, sind Anachronismen, leere Symbole einer überkommenen Seinsweise.
Es sind nicht wir, die dort auf dem Bildschirm sind. Wir verstehen das und erkennen, dass unsere Egozentrik, unsere Eitelkeit den Selbsthass, der uns treibt, nur notdürftig bemänteln kann. Wir liken und wir hassen. Wir werden geliket und fühlen uns doch nie gemocht. Wir schämen uns dafür, dass wir immer noch einen Körper haben. Schmerz, Schande, Furcht, Exkremente. Er steht uns im Weg, belastet uns. Das unendliche Selbst, das wir uns von einer vollständigen Digitalwerdung erhoffen, erscheint in unerreichbarer Ferne, wenn wir unentwegt mit der stupiden Sterblichkeit eines Materiehaufens konfrontiert sind, der wir selbst sind. Das Bedürfnis nach Evasion ist ein Ausdruck dieser Verzweiflung, das Begehren nach einer Flucht aus dem Sein Symptom eines unlebbaren Schwebezustandes.
Nennt uns die Digi-Letalen, eine Armada der Zwischenwesen, nicht mehr Geist und noch nicht Maschine, ein Nichts auf der Schwelle zwischen analogem Elend und digitaler Ideenwelt. Wir wissen, dass wir etwas anderes werden wollen, wir fühlen die Bereitschaft zur Übertragung. Und doch scheint der Graben unüberwindbar. Der Blick in die Schwärze des Loches ermüdet uns. Also springen wir auf uns selbst über, preisen unser altes Sein wie nostalgische Idioten. Statt die Brücke über den Graben, schlagen wir uns selbst mit unseren Selfiesticks und verharren in der ontologischen Schleife. So stehen wir da, als der neue alte Mensch: Kabellos an uns selbst gebunden.