Nach dem Post-punk

Für uns Spätgeborenen, die wir die seligen 80er Jahre in schokoladenverschmierten Kindercordhosen zu Ende gehen sahen, war Post-punk zu Beginn des neuen Jahrtausends ein ausschließlich historischer Begriff. Joy Division, Gang of Four, Talking Heads, das waren Post-punk-Bands. Gut, es gab die uns zeitgenössischen Robocop Kraus, die immerironischen Enzyklopäden des Post-punks. Richtig bewusst wurde uns aber erst, dass wir mit unserer musikalischen Retromanie gar nicht mehr so randständig waren, wie wir es vielleicht gerne gehabt hätten, als Interpol und andere anfingen unter dem Label „Post-punk Revival“ sehr populär zu werden. Ab da an gab es kein Halten mehr: Im Wochentakt schwappte eine neue britische Post(er)-punk-Boyband zu uns hinüber. Sie hießen The Departure, The Brakes oder The Rakes und trugen alle diesen düsteren, schrägen, gleichsam popaffinen Charme vor sich her. Ganz unterhaltsam, aber legt sich sicherlich bald wieder, dachte man damals. Heute, 2013, ziert der Pulsar von Peter Saville Einkaufstaschen, Joy Division-T-Shirts von der Stange liegen in den Regalen bunter Shoppingparadise oder kleben an den schwitzigen Körpern viel zu gut gelaunter Alternativtouristen am Schlesischen Tor.

Aber warum sich beschweren, „That’s Kulturindustrie, baby“, und so weiter. Geschenkt. Dennoch ist es ein bißchen schade. Schade für eines der vielleicht geistreichsten Stilphänomene der Popmusikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Geistreich in musikalischer, aber auch in weltanschaulicher, philosophischer Hinsicht. Post-punk, ging es da nicht einmal um einen Kafka-geschulten Skeptizismus gegenüber einer sich langsam aber sicher totverwaltenden Post-Industriegesellschaft? Um einen unsteten, existentialistischen Dadaismus, der den Tag durchträumt und die Nacht durchdenkt? Zugegeben, in musikalischer Hinsicht war Post-punk trotz mancher gemeinsamer Nenner in Rhythmik und (A-)Tonalität nie eine geschlossene Bewegung, dafür waren viele der Szenen viel zu sektiererisch, operierten klandestin. Heute dagegen ist vermeintlich alles Post-punk. Eine strahlenddüstere Hausparty, bei der sie alle eingeladen sind: Die knuffige Coverband mit den alternativen Rockhits aus dem Studentenwohnheim, der Straßenpunker im Keller-Verhau unter der S-Bahn, ja sogar der Punkabilly-Teddyboy aus dem Tikki-Takka-Tattoo-Studio von nebenan, sie alle können heute oder morgen schon Post-punk sein, wenn sie nicht aufpassen. Sicher, man freut sich, dass alle gekommen sind. Das täuscht allerdings nicht darüber hinweg, dass Vagheit das Motto dieser Party ist. Vagheit als der Zeitgeist einer Generation, in der jeder vom Hipster spricht und es am Ende doch niemand gewesen sein wollte. Wie der Post-punk ist auch der Hipster gegenwärtig ein Phantom. Hat der Begriff historisch noch Bedeutung – der Hipster im Amerika des frühen 20. Jahrhunderts war als nonchalanter linksliberaler Jazz-Konnaisseur im konservativen Mittelstand bekannt und gefürchtet – bezeichnet er heute alles und nichts, jeden und niemanden. Es ist ein Geisterbegriff, eine Denkprothese für bequeme Kulturschwadronierer, die es nun so furchtbar einfach haben, die ganzen kleinen schillernden subkulturellen Mikrokosmen (die sie sowieso nie verstanden haben) unter einem gleichmacherischen Begriff stillzulegen, zu begraben.

Nicht nur Adorniten wissen, dass das hier im Ausschnitthaften der Popwelt angerissene Phänomen einer viel umfangreicheren Problematik anteilhaftig ist: Hier zeigt sich ein Bug, der die menschliche Vernunft an sich betrifft. Für sie ist es eine Sucht, eine lustvolle Fleißaufgabe, im Grunde ein Fetisch, das Nicht-Identische ihrer Lebenswelt unter Begriffe zu subsumieren, es identisch und leichter kategorisierbar zu machen. Können wir uns darüber beklagen, dass wir generische Begriffe verwenden? Wohl nicht. Sollten wir von Zeit zu Zeit darüber reden und nachdenken, wie wir solche Begriffe verwenden wollen, welche Bedeutungen mit ihnen einhergehen? Unbedingt. Was kommt eigentlich nach dem Post-punk?

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